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25.11.2013 18:37

Zusammenfassung 1: Kindheitserinnerungen

Timotheus schloß die Augen.
Die letzten Stunden im Fluchttransporter waren hektisch gewesen. Die Leute redeten oft durcheinander.
Er ignorierte den Warnton seines Lebensmonitors. Das Ding hatte die Angewohnheit immer darauf hinzuweisen wenn es etwas für ungesund hielt, und ein rasender Puls zählte dazu.
Tief einatmen, dann langsam tief ausatmen - das hatte er gelernt, brachte den Warnton und auch sein fühlbar pochendes Herz zur Ruhe. Auch das schmerzhaft brennende Gefühl in seiner Brust ließ nach und ihm wurde etwas leichter ums Herz.
Das Piepen wurde leiser, dann gönnte ihm die moderne Technik einen dankbaren Moment der Ruhe.

Timotheus dachte zurück.
Er erinnerte sich an seine frühe Kindheit, zumindest soweit er sich erinnern konnnte.

Die Zeit vor der Schule

An das Lachen seiner Mutter und das seines Vaters, wenn sie gemeinsam am Tisch gesessen hatten. Sein Vater, als er mit Soy-brötchen und Zahnstochern einen Turm gebaut hatte und seine Mutter, die ihn daraufhin lachend ausschimpfte weil man nicht mit Essen spielen darf. Beide waren viel arbeiten gewesen, seine Mutter in ihrem Sessel oder im Büro, sein Vater im Labor.

Timotheus dachte an sein Zimmer zurück, an die Wohnung mit den Fenstern die ganz andere Dinge gezeigt hatten als den Flur der eigentlich dahinterlag.
Irgendwie beruhigte ihn auch der Gedanke an die sauberen grauen Flure der Wohnanlage in der er seine ersten sechs Jahre verbracht hatte. Andere Leute würden die Wohnanlage als langweilig bezeichnen, er hingegen fand bei dem Gedanken daran eine gewisse Geborgenheit und Ruhe.
Er dachte an die weiß leuchtenden Wände, die automatischen Türen, den frischen Geruch der gefilterten Luft aus der Aufbereitungsanlage. Er erinnerte sich gern an die Saeder-Krupp-Forschungsarcologie tief unter der giftigen, verbrannten Erde der Sonderrechtszone Saar. Hübsche kleine Gärten unter weißen, leuchtenden Decken, ein kleiner Spielplatz, meistens leer, eine leere Schaukel.

Es hatte dort kaum andere Kinder in seinem Alter und nur einige Ältere Kinder in der ganzen Anlage gegeben. Er hatte fast nur Erwachsene gekannt. Und Betty, aber die war dumm und er hatte nicht gewusst ob er sie noch als Kind oder eher als Erwachsene betrachten sollte.
Betty hatte sich um ihn gekümmert wenn seine Eltern beide gleichzeitig arbeiteten, und zwar seitdem Barbara weggezogen war. Barbara war lustiger gewesen und hatte ihm einige Dinge beigebracht, wie man ein Deck bedient und sogar einige Buchstaben. Betty sass nur auf dem Sofa und steckte sich nach dem Mittagessen gerne Chips in den Kopf. Manchmal sabberte sie dabei leicht.
Das war ein ziemlich dummes Spiel was Betty immer gespielt hatte, er nannte es Kopf-Trid. Einmal hatte sie es ihm erklärt: Man brauchte ein Implantat, deshalb konnte nur der mitmachen der sich den Chip in den Kopf steckte. Der saß dann stundenlang herum während Trideos in seinem Kopf abliefen die man sogar riechen, schmecken und fühlen konnte. Manchmal ächzte oder stöhnte sie auch ein wenig dabei oder jauchzte oder heulte, aber das war normal, hatte sie gesagt. Gehörte zum Spiel.

Weil sie meistens nicht viel Anderes tat als herumsitzen und Kopf-Trid spielen war Betty echt langweilig gewesen. Sie hatte viele seiner Fragen gar nicht beantwortet, vielleicht weil sie die Antworten nicht wusste oder weil sie sich viel mehr für ihre bunten Fingernägel und falsche Wimpern interessierte. Oft schimpfte sie: "Wenn du immer alles wissen musst, dann schau doch im Netz nach !". Er hatte versucht ihr zu erklären dass er noch gar nicht alle Buchstaben konnte, aber das half bei ihr nicht. Barbara hätte ihm neue Buchstaben gezeigt ! Immerhin konnte er damals schon seinen Namen schreiben, Betty hatte aber immer gesagt mehr muss man gar nicht können. Aber immerhin durfte er Trideo schauen und Tridspiele spielen so viel er wollte.
Das hatte er auch fast immer getan, während Betty auf dem Sofa sass und leise vor sich hin sabberte.

Tim konnte sich noch sehr gut an einen Nachmittag erinnern. Er war gerade sechseinhalb Jahre alt gewesen. Er hatte gerade eine Folge Bernd der Ritter geschaut. Bernd war toll, aber diese Folge war etwas langweilig. Trotzdem hatte er sie zuende geschaut, Bernd war cool und die Samurai hatten keine Chance gegen sein Schwert. Auf den anderen Sendern liefen nur Nachrichten oder Drek der nur Erwachsene interessierte, langweiliges Zeug.
Darum hatte er das Trid ausgeschaltet und sich an das Deck gesetzt.
Beim Einschalten war Tim auf dasselbe Symbol aufmerksam geworden, das auch im Trid immer munter daherflackerte wenn er es einschaltete.

Die Erkenntnis hatte ihn getroffen wie ein Hammerschlag :
"Das gibt es da gar nicht wenn Mama oder Papa den Trid anmachen !"

Es war ein kleines goldenes Schild-Symbol gewesen. Er konnte es anklicken, und dort war dann eine bunte Seite mit Gesichtern glücklicher Kinder erschienen, die durch einem goldenen Schild von seltsamen Symbolen gtrennt wurden.
Es hatte dort auch viele andere Icons und Symbole am Rand des Bildschirms gegeben. Er hatte damals nicht gewusst was all die Buchstaben bedeuteten, aber er hatte immerhin Einige von ihnen gekannt. Es war den Icons nach offensichtlich gewesen dass der Schild irgendetwas fernhalten sollte. Das hätte sogar Betty kapiert !

Eins der bunten Bilder hatte ihm fröhlich zugewinkt. Das war eine Zeichnung von einer jungen Frau im Bikini gewesen, deren Proportionen ihm seltsam falsch vorgekommen waren. Vielleicht waren ihre Brüste einfach zu groß gewesen. Aber sie hatte gewinkt und ihm fröhlich zugezwinkert, das war viel lustiger als Betty. Und er fand sie sah fast wie Phantasia von Bernd dem Ritter aus.
Einen Klick später hatte sich Tim auf einer Seite in der Matrix wiedergefunden die unbekleidete Erwachsene bei seltsamen sportlichen Aktivitäten zeigte und wo die Männer etwas mit den Frauen machten gegen das diese vehement zu protestieren schienen, ohne sich jedoch zu wehren.

Just in dem Moment als sich Tims Erstaunen in den Worten "Drek. Bernd der Ritter würde SOWAS bestimmt nicht machen !" manifestierte, ging die Tür auf. Sein Vater war mit den Worten "Jesus fucking Christ !" fast zum Deck gesprungen um es auszuknipsen, dann hatte er gefragt er wo zum Henker denn Betty steckte.

"Der gehts nicht so gut, die ist im Wohnzimmer" hatte Tim noch geantwortet. Sein Vater hatte dann in ernstem Ton gesagt: "Junger Mann, du gehst jetzt besser auf dein Zimmer !".

Unten hatte sich Betty wohl so Einiges anhören müssen, sie tat ihm fast etwas leid. Und dann hatten seine Eltern viel miteinander gesprochen. Am Abend waren Beide in sein Zimmer gekommen und hatten ihm erklärt, daß sie entschlossen hatten ihn auf eine tolle Schule zu schicken die zwar leider weit weg war, wo er aber viele andere Kinder treffen und ganz gut lernen könnte.

Er war natürlich voll neugierig gewesen. Dennoch hatte er dann kräftig protestiert als sie ihn zwei Monate später zum VTOL gebracht hatten, der ihn dann zum Flughafen fliegen sollte. Er wollte nicht weg, aber da ließ sich wohl nichts machen. Immerhin hatte sein Vater ihm zur Einschulung eine tolle Bernd-Der-Ritter-Figur geschenkt.

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