Tito Santana aus Zorgan, der Wesir? Recht sprechen?
Klang nach einiger Überlegung gar nicht so verkehrt. Was brauchte das schon?
Ein wenig Menschenkenntnis, ein wenig Erfahrung, ein bisschen Überredungskunst...

Titos Meinung nach hatte er genug Leute in Machtpositionen gesehen, die diese ausgenutzt hatten. Anführer und Beamte die korrupt, dumm, dreist und gefräßig wie eine blutsaugende Zecke die Leute ausnutzten und mißbrauchten, zu deren Schutz und Führung sie eigentlich bestimmt worden waren.
Die eigentlich jeder hasste und welche die Welt nicht gerade angenehmer machten. Und war es nicht der Zweck eines jeden Anführers oder Richters, die Welt für alle ein bisschen sicherer und angenehmer zumachen? War es nicht die ehrenvolle Aufgabe jedes Menschen, die Welt jeden Tag im Namen der zwölf für Andere ein bisschen besser zu machen?
Richter, für die Gerechtigkeit ein Fremdwort war gab es genug. Und letzten Endes - wie ein gewisser Beirun - endeten die meisten davon als wimmerndes, feiges, schwaches Häufchen Elend im Dreck vor jemand Anderes Stiefelspitzen, der sich in der Pflicht sah auch mal für den Erhalt der zwölfgöttlichen Ordnung ein bisschen Einsatz zu zeigen.
Also, nicht lange nachgedacht - Tito, der Wesir!

Zugegeben, Tito Santanas Art der Rechtsprechung begann ungewöhnlich und wurde dann immer unkonventioneller.
Er brauchte oft eine Weile um darüber nachzudenken welche Lösung wohl der Rajah, dem Phex und auch mal Kor am gefälligsten sei.
Das war gar nicht so leicht, denn: Wie löst man diese Sache am liebevollsten? Welche Lösung ist gewitzt und erteilt den Bestraften auch wirklich eine Lehre ? Und wie macht man die Schwachen stärker?

Tito hatte schnell gemerkt daß gerade diese nachdenklichen Minuten des Überlegens viele Angeklagten oder Zeugen verunsicherten, was oft dazu führte daß sich der eine oder andere verplapperte. Das war dann sehr nützlich um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Auch Titos Angewohnheit, aus reiner Bewegungslust (oder auch aus der reinen Gewohnheit heraus Kämpfer zu lehren und zu drillen) manchmal plötzlich von seinem Stuhl aufzuspringen, nah an die mitten im Raum stehenden Befragten heranzutreten und beim Stellen der Fragen wie ein Raubtier um sie herumzutigern, hatte sich aus demselben Grund als ziemlich nützlich erwiesen.
Bei den meisten Rechtsprechungen (also jene üblichen langweiligen oder auch kleingeistigen Bagatellen welche üblicherweise zu kleinen Geldstrafen für eine oder beide Parteien führen) wurde Tito - vielleicht gerade wegen seiner eher rudimentären Rechtskenntnisse - erstaunlich kreativ: Eine wohlbetuchte, aber sehr zugeknöpft auftretende Beklagte, welche wohl über ihre Rajahgläubige Nachbarin böse Gerüchte in die Welt gesetzt hatte, wurde (Tito musste sich eingestehen, vielleicht auch gerade weil sie trotz ihres zugeknöpften Kleides recht ansehnlich wirkte) zu einem Jahr Dienst als Dienerin im Rajahtempel verdonnert (in der Üblichen Tempelkleidung, und das Dienergehalt vom Tempel sollte zu gleichen Teilen der Geschädigten und den Armen zu Gute kommen). Und als sie ihre Strafe als "lächerlich" ablehnen wollte mit der Begründung es sei ja nicht jeder so gut gebaut wie ihre verwerfliche, schamlose Nachbarin, verdonnerte Tito sie zusätzlich dazu, zur körperlichen Ertüchtigung jeden Morgen vor dem Tempeldienst eine Stunde in Begleitung einer Wache zu laufen:
"Siehst du, das Laufen kommt deinem Körper zugute, du wirst sehen, ein gesunder, kräftiger Körper ist dann auch ansehnlich. Du brauchst danach also auf deine Nachbarin gar nicht mehr neidisch zu sein..."

Wurde ein Beklagter oder Zeuge frech oder beleidigend, so verhängte Tito generell lieber körperliche Strafmaßnahmen, die keine langweiligen Prügelstrafen waren (denn solche lehren ja keine Disziplin und machten auch nicht stärker): den Satz "um dich zu beruhigen, drehen die Wachen jetzt mit dir erstmal drei Runden um den Block." benutzte er fast so gerne wie "RUNTER MIT DIR, UND GIB MIR ZEHN!" "Äh... aber... zehn was denn überhaupt?" "ZEHN LIEGESTÜTZE DU FLACHPFEIFE! Und die Wachen sorgen dafür daß du die auch machst." "Was bitte, jetzt?" "Nein. SOFORT!"

Auf eine Verhandlung war Tito dann auch besonders stolz. Ein etwas trinkfreudiger Bürger hatte einen Passanten einfach im Vorübergehen geschlagen und ihm die Nase gebrochen, und machte auch keinen Hehl daraus daß er sich im Recht wähne: Er habe ja schließlich schlechte Laune gehabt und der Andere das hätte merken müssen, bevor er ihn mit "Guten Morgen, Effendi" begrüsst hatte. Dann war es gekommen wie die Dinge nunmal kommen: Der Gehauene hatte den Hauenden angeklagt und verlangte entweder Schadenersatz, oder daß dem Beklagten ebenfalls kräftigst auf die Nase gehauen würde bis daß diese blute. Was ja eigentlich schon korgefällig klang.
Also stand Tito mit einer geschmeidigen Bewegung von seinem Wesir-Stuhl auf und begann, um den Befragten herumzutigern, der wegen einiger Liegestütze schon ziemlich außer Puste geraten war und sich gerade die schmerzenden Oberarme rieb:

Ich stelle dir jetzt ein paar einfache Fragen, die du entweder mit "Ja, Herr Wesir" oder "Nein, Herr Wesir" beantwortest. Hast du das verstanden?"
"Ja, Herr Wesir."
"Du hast ihm also die Nase gebrochen, nur weil dir danach war ?"
"Ja, Herr Wesir."
"Wurde dir denn schon einmal die Nase gebrochen?"
"Nein, Herr Wesir."
"Du wusstest aber schon, daß ihm das sehr wehtut?"
"Ja Herr Wesir!"
"Dir wars also egal, daß ihm das wehtut?"
"Ja Herr Wesir!"
"Weil du schlechte Laune hattest?"
"Ja Herr Wesir."
"Und du denkst das ist völlig in Ordnung, einfach jemandem die Nase zu brechen?"
"Ja Herr Wesir."
"Und du hattest an diesem Tag echt schlechte Laune?"
"Ja, Herr Wesir."
"Wirklich schlechte Laune ?"
Ja, Herr Wesir."
"So richtig schlechte Laune?"
"Ja, Herr Wesir!"
"Und dann hast du ihn gehauen."
"Ja Herr Wesir!"
"Und du willst wissen wie sich eine gebrochene Nase anfühlt?"
"Ja Herr Wes..ää-"
Es klatschte, aber keinen Applaus.