Das Blitzen des Blaulichts warf Schatten an den Ziegelwänden der benachbarten Häusern. Einige Personen verweilten kurz, sich die Aufregung ansehend, andere eilten weiter durch die immer noch winterliche Stadt. Sie war verschwunden, noch bevor der KE-Streifenwagen, in den sie Serafina verfrachtet hatten, den Tatort verlassen hatte. Schnellen Schrittes eilte sie durch die Stadt und dem einsetzenden Graupelschauer. Eine kurze nachricht an Sean fasste die Situation zusammen und endete mit der Bitte, oder Aufforderung, sich um das Kommlink zu kümmern, sie selbst würde sich auf sicheres Terrain begeben.
Die Villa war im dunkel der anbrechenden Nacht schwer zu erkennen. Jedenfalls für normale Augen. Auf Distanz beobachtete sie die Anlagen, die fast unberührte und die noch nicht geschmolzene Schneedecke, bis sie sicher sein konnte nicht in eine Falle zu laufen. Auch Loki meldete sich erst, als sie sich der Tür näherte. Schnell war ihr Rucksack mit allem überlebenswichtigen Dinge gepackt. Geübt und sicher nicht zum ersten mal begab sie sich auf das Dach des Gebäudes. Ein Seil wurde befestigt und für eine Schnelle Flucht bereit gelegt. Das Gewehr im Anschlag beobachtet sie die Gegend. Außer den Gästen den Lokals und den Geräuschen der Tierwelt, welche sich über den zu späten Frühling beschwerte, war nichts zu hören. So gesichert und mit ihrem vertrauten Territorium umgeben gestattete sie sich über die vergangenen Ereignisse nachzudenken.
Warum man sie in den Plan nicht eingeweiht hatte, könnte nur den Grund haben, das Serafina sie nicht dabei haben wollte. Sie war ja immer so empfindlich was Waffen anging. Als wenn sie auf alles schießen würde. Was mit Knut was, hatte sie keine Ahnung.
Trotz dem Misstrauen war es doch sehr wahrscheinlich , dass Serafina sie nicht verraten würde. Vermutete sie, auch wenn Menschen nicht zu ihren Talenten gehörte. Sean war kompetent, er würde sich um die Kommlinks kümmern. Den Gedanken folgend holte sie ihres aus der Tasche und entdeckte dort eine Nachricht.

Die Frühlingssonne brach sich an dem kleinen Wasserfall, der aus einem geborstenen Rohr ergoss. Das Gebäudes, es mag vielleicht mal eine Villa oder ein größeres öffentliches Anwesen gewesen sein, war nunmehr eine Ruine, verwildert durch die Natur der Wilds, die sich die verlassenen Dörfer und Siedlungen zurückholte. Ganz oben, auf einem halb verrosteten Stahlträger, saß sie und starrte über das Grün auf die nicht als zu entfernten Stadt.

Sie hatte sich verirrt. Nicht im geographischen Sinne, da wusste sie immer wo sie war, sondern in einem metaphysischen, spirituellen Sinne. Zu viel Zeit ist vergangen, seit ihr die Hexe mehr nebenbei als wirklich aufmerksam den Weg der Schwarzen Magie lehrte. Die Grundlagen und der erste Zugang zu ihrer Magie. Zu viel ist geschehen und zu viel hatte sie gelernt. Es passte nicht mehr, es erklärte nichts mehr, es führte zu nichts mehr.
Also blieben ihr zwei Möglichkeiten. Wenn man die Fährte zu seiner Beute verloren hatte, konnte man zum Punkt zurückkehren, an dem man sie zuletzt deutlich vor sich hatte. Das brachte aber in der Situation nichts, die Hexe war verschwunden und zurück nach Hause zu gehen, würde sie nicht weiter bringen. Also musste sie sich neu Orientieren, eine neue Spur finden, eine neue Beute, einen neuen Weg.
Ein paar Tage verbrachte sie bei dem Hexenzirkel in Salem. Zwar lernte sie etwas über Pflanzenanbau und konnte kostengünstig ein Gewächshaus erstehen, doch stellte sie fest, das deren Weg nicht ihr Weg war. So verbrachte sie die Tage darauf das kleine Kuppelgewächshaus auf einem bereits existierenden Fundament im Garten aufzubauen, vermutlich war hier früher schon ein Gewächshaus gestanden. Dazu ein paar Solarzellen und eine Regentonne, um nicht extra Kabel und Rohre vom Haus verlegen zu müssen. Dann pflanzte sie Gemüse und Obst und fragte auch Sean und Knut, ob sie irgendwelche Pflanzen brauchten. Doch brachte sie das ihren Ziel kein bisschen näher.
Die Adepten der Vigilant Iron Schooling House Boston bildeten den harten Kern der Kampfschule. Bis jetzt war sie zwar regelmäßig dort erschienen, ihr Interesse war aber eher an den zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Umgang mit Gewalt und Gefahren. Jetzt aber waren das Interesse anderer Natur. Schnell musste sie aber feststellen, dass sie so vielfältig waren wie ihre Mitglieder. Immerhin lernte sie die Mitglieder besser kennen und durch einige Meditationsübungen auch besser mit der schmutzigen, vergifteten und emotionalüberladenen Stadtatmosphäre Bostons umzugehen, die sie schon seit ihrer Ankunft ihr störte. Es war wie der Fund von essbaren Beeren, doch war sie auf der Jagd nach größerer Beute.

So wand sie den Blick ab von der Stadt und wand sich dem Himmel zu. Adler verirrten sich nur selten in die Wilds. Zu dick war das Dickicht. Doch weit oben, für das metamenschliche Auge fast unsichtbar, sah sie etwas kreisen. Sie würde das tun, was sie schon immer getan hatte. Ihren eigenen Weg folgen, und Adler vertrauen.

Die warme Frühsommersonne hatte die Luft in dem Gewächshaus aufgewärmt, selbt jetzt am späten Abend war es dort noch angenehm warm. Dort zeigten sich die verschiedensten Pflanzen von ihrer besten Zeiten, unterstützt durch Wärme und Wasser. Neben Kräutern, Tomaten, Paprika, Aubergienen und anderen Gemüsesorten fanden sich dort auch Pflanzen der Schwarze Tollkirsche, Schwarze Bilsenkraut und andere berauschender und potentiell giftiger Pflanzen. Sie stand in der Mitte und kontrollierte, beschnitt, richtete und goss die noch jungen Pflanzen. Ein piepsen ließ sie kurz innehalten. Vorsichtig zog sie die Arbeitshandschuhe aus und hob ein noch recht neu aussehendes Kommlink von einem Tisch am Eingang des Gewächshauses. "Ja?" "Maria, Bella, schön von dir zu hören." Das Gespräch mit ihrer Mutter verlief wie diese Gespärche immer verlaufen. Mama Bertone war in dieser Hinsicht eine typische italienische Mutter. Sie erzählte alles, was seit ihrem letztem Gespärch in ihrem Heimatdorf passiert war. Auch wusste sie, das ihre Tochter nicht viel zu sagen hatte. Schließlich rang sie ihr die Zusage ab, in nächster Zeit öfters mal anzurufen.
Das Kommlink lag wieder auf dem Tisch, diesesmal stumm geschalten, während das junge Grün weiter versorgt wurde.

Nieselig grau lagen die Straßen von Newton in diesem Dezember da. Einzelne Gestalten eilten durch die Gegend, um möglichst schnell zu ihrem Ziel zu gelangen und dem Wetter zu entkommen. Noch immer waren Teile der Stadt verweist. Vernagelte Türen und blinde Fenster die ins nichts führten. Gegenüber eines solchen Anwesens, das letzte Gebäude einer Häuserzeile, hätte der vorbei eilende Bürger nichts erkannt. Selbst der aufmerksame Beobachter hätte sich schwer getan, etwas zu bemerken. Nur wenn man auf ein Dach gestiegen wäre und genau gewusst hätte, wo man hinschauen muss, wäre einen die graue Plane aufgefallen, die am Rand eines Flachdaches lag und unter der sich ab und zu etwas regte. Auch der Lauf des Gewehres spitze etwas unter der Plane hervor, allerdings nicht soweit, dass man ihn von unterhalb des Daches erkennen konnte.
Durch das Zielfernrohr beobachtete sie das Objekt gegenüber. Es hatte zwei Geschosse und ein Flachdach. Zur Straße hin besaß es eine Ladenfront mit großen Fenstern, jedenfalls früher einmal. Es gehörte einmal einen Mitglied der Kirchengemeinde, die damals bei den Zug auf Marios Club dabei waren. Also lagen ihre ehemaligen Bewohner irgendwo zu Kohlenstaub verbrannt auf der Freifläche, die jetzt als landwirtschaftliches Anbaugebiet genutzt wurde. Wobei diese zu der Jahreszeit brach lagen. Bis jetzt war niemand in das Haus eingezogen, nur die unterste Etage, wo sich einmal ein Kleidungsladen befand und so eigentlich nur aus einen großen Raum bestand, wurde zwischenzeitlich als Lager genutzt. Und aus den Daten der 'Siedlungsverwaltung' ließ sich schließen, das auch in näherer Zukunft nichts für das Gebäude geplant war. Der eine Nachbar war ein weiteres solches Haus in einer langen Zeile von Häusern, allerdings bewohnt von einer Zwergenfamilie, die im Laden Elektronikgeräte (aus zweiter Hand) anbot, baute und reparierte. Das Gelände auf der anderen Seite war leer, vermutlich mal ein Garten oder Parkplatz, jetzt allerdings verwildert. Der Ort war fast perfekt für ihr Vorhaben.
Vorsichtig zog sie das Gewehr zurück und rollte sich unter dar Plane herum. Sie schloss kurz die Augen bevor sie das Kommlink einschaltete und der Bildschirm die Dunkelheit unter der Plane erhellte. Sie wollte nicht plötzlich geblendet werden. Einen Moment später scrollte sie durch einer Liste von Zielpersonen, Personen die sie aus der Einwohnerliste gepickt hatte und ins Schema passten. Sie müsste sie noch genauer Ausspähen und dann die passendsten zwei Auswählen.
Langsam nahm der Plan Gestalt an. Aber es würde noch Zeit und Geld kosten, bis er in die Tat umgesetzt werden konnte.
Sie schaltete das Kommlink ab und kroch vorsichtig unter der Plane hervor, sich aufmerksam umschauend. Da niemand ihr aufmerksam schenkte faltete sie die Plane zusammen und verstaute sie in einer Ecke des Daches. Dann schulterte sie das Gewehr, kletterte die Feuerleiter herunter und verschwand durch den trüben Nieselregen in den Straßen der Siedlung.